Zumutung als Ermutigung

Eine Art stiller Pädagogik und wertschätzender Zuwendung ereignet sich täglich von vielen unbemerkt in vielen Einzelgesprächen: Ein Mensch sitzt einem anderen gegenüber und schaut ihn mit erwartungsvollen Augen an; dadurch wächst in ihm der Mut, zu geben, was er hat und zu zeigen, was er kann. Nichts anderes passiert in geglückten therapeutischen Begegnungen, in guten seelsorglichen Gesprächen, ja überhaupt in stimmigen Beziehungen von Mensch zu Mensch. Vielleicht ist Ermutigung überhaupt der erste und wichtigste Liebesdienst, den Menschen einander zu leisten vermögen. Im Grunde besteht er zuallererst „nur“ darin, einander mit Augen anzusehen, die dem anderen etwas zutrauen. „Zumutungen“ im besten Sinn des Wortes sind es, wenn Menschen einander Mut machen und dabei behilflich sind, dass sie finden können, was sie brauchen, um das Leben als lebenswert zu empfinden! Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie war überzeugt davon, “dass (abgesehen von erstaunlichen Spitzenleistungen, über deren Struktur wir nicht allzu viel aussagen können) jeder alles kann”(1)
Zutrauen beflügelt! Der argentinischer Psychotherapeut und Schriftsteller Jorge Bucay erzählt die Geschichte vom sechsjährigen Panchito, der sich und seinen drei Monate alten Bruder aus der brennenden Wohnung im zweiten Stock des Wohnhauses trotz versperrter Türe und vergitterter Fenster retten konnte. Nachdem der Brand gelöscht war, gab es nur noch ein Gesprächsthema: Wie hatte es ein Sechsjähriger schaffen können, sein eigenes Leben und das seines Brüderchens zu retten? Der Feuerwehrhauptmann, ein kluger, angesehener Mensch, gab ihnen zur Antwort: „Panchito war allein ... Es gab also niemanden, der ihm hätte sagen können, das schaffst du nicht.“(2)


Literatur:
Adler, A. (1990). Der Sinn des Lebens. Fischer TB 6179.

Bucay, J. (2006). Geschichten zum Nachdenken. Ammann Verlag.

1 (Adler A. , 1990, S. 179)

 2 (Bucay, 2006, S. 67) 

 

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