Musiktitel & Texte für die CD „herzüber“

1. Geist der Erde, füll mich an

 

Geist der Erde, füll mich an,

Geist des Wassers, sei mein Kahn,

Feuergeist soll mich verkohlen,

Luftgeist, geh beim Atemholen

stärkend in mich ein.

 

Dann will ich die Sterne zähmen

und in ihre Silbermähnen

zweierlei Geschick verknoten,

bei den Lebenden und Toten

soll dies gültig sein.

 

Muss zuvor das Blut der Steine

aus dem Bauch der Erde graben,

muss des Wassers Wurzel haben

und vom Feuer die Gebeine

und in mir die Erstlingssamen

deines Hauchs – in Gottes Namen! -,

deinen einen Hauch.

 

Was ich jetzt verbrauch,

ist die Luft Lebendig-Toter;

Komm! – schon wird der Himmel roter

um den Mondeskahn.

Meine Rechte, meine Linke

sehen zu, wie ich dir winke,

komm und hauch mich an!

 

Christine Lavant. Zu Lebzeiten veröffentlichte Gedichte, Wallstein Verlag, Göttingen 2014, Seite 187

 

 

3. Liebes-Lied

 

Wie soll ich meine Seele halten, daß 

 sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie 

 hinheben über dich zu andern Dingen? 

 Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas 

 Verlorenem im Dunkel unterbringen 

 an einer fremden stillen Stelle, die 

 nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen. 

 Doch alles, was uns anrührt, dich und mich, 

 nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, 

 der aus zwei Saiten eine Stimme zieht. 

 Auf welches Instrument sind wir gespannt? 

 Und welcher Spieler hat uns in der Hand? 

 O süßes Lied. 

 

Rainer Maria Rilke, Die Gedichte, Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2006, Seite 432

 

 

5. was wäre wenn

 

mit

sanften 

flügeln und 

auf leisen sohlen

 

was wäre wenn ein engel käme

die menschen einfach mit sich nähme

und ihnen seinen himmel zeigte 

der tief zur erde hin sich neigte

 

das wär ein fest voll glanz und pracht

zur stillen nacht für uns gemacht

 

es müsst‘ uns nur ein engel holen

mit sanften flügeln

und auf leisen

sohlen

...

 

arnold mettnitzer

 

 

7. Wo ist mein Anteil, Herr, am Licht? 

 

Wo ist mein Anteil, Herr, am Licht? 

Ich will doch auch nach Hause kommen!

Mein Blindenstock ist weggeschwommen

unzeitig sank das Mondgesicht

Bergrücken wachsen mächtig.

Längst bin ich übernächtig

und überreif vor Müdigkeit

sooft der Atem in mir schreit

könnt ich den Tod gebären.

Lass das nicht ewig währen!

Verschaffe mir mein Heimweglicht

auch wenn es grell den Traumstar sticht

und mein Gedächtnis peinigt.

Du weißt, ich brauch kein Himmelshaus

zeig mir das Obdach einer Maus

bevor der Tag mich steinigt.

 

Christine Lavant, Zu Lebzeiten veröffentlichte Gedichte, Wallstein Verlag, Göttingen 2014, Seite 582

 

 

9. Engel

 

          sie müssten nicht immer vom Himmel her kommen

        und bräuchten auch keine Flügel zu haben

       wo immer sie fliegen

die Engel                                        arnold mettnitzer                              

       sie könnten auch hier 

         zwischen dir und mir ihre Kreise ziehen 

           und manchmal auch deinen und meinen Namen tragen

 

 

11. mehr nicht

 

sonnenschein

statt neonlicht

 

mehr phantasie 

mehr kür als pflicht

 

ein lichtstrahl hie und da

als blitzlicht im gesicht

 

mehr brauch ich nicht

 

heiterkeit von innen

leise klug und schlicht

 

mehr feingefühl in worten

deren argument besticht

 

im streit versöhnung

manchmal ein gedicht

 

mehr brauch ich nicht

 

achtsamkeit im urteil

nicht nur bei gericht

 

mehr mut zur wahrheit

wo die liebe bricht

 

des nachts ein traum

der wahres spricht

 

mehr brauch ich nicht

 

mehr dankbarkeit

und zuversicht 

 

mehr nicht

 

arnold mettnitzer

 

 

13. Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort

 

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort

Sie sprechen alles so deutlich aus:

Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,

und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

 

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,

sie wissen alles, was wird und war;

kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;

ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

 

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.

Die Dinge singen hör’ ich so gern.

Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.

Ihr bringt mir alle die Dinge um.

 

Rainer Maria Rilke, Mir zur Feier (1909), 

in: Die Gedichte, Insel Verlag, Frankfurt am Main 1995, Seite 188-189

 

 

15. Eine Melodie

 

Eine Melodie 

Singt mein Herz, die du gesungen. 

Still auf deinem Knie 

Lag mein Haupt, von deinem Arm umschlungen.

 

Schwerer Duft der Nacht 

Zog mit müdem Hauch vorüber.

Bang' hab ich gedacht: 

Sterben müßt' ich, hätt' ich dich noch lieber. 

 

Liebst du auch so sehr? 

Warum singst du solche Lieder?

Aus verhülltem Meer 

Läuten Glocken auf und tauchen nieder.

 

Tief im dunklen Dom 

Schwanken Weihrauch und Choräle . . .

Wie ein Tränenstrom 

Zieht es einsam jetzt durch meine Seele.

 

Ricarda Huch

 

 

17. Herr, sei nicht gut: sei herrlich

 

Herr, sei nicht gut: sei herrlich; widerleg

das Hörensagen, das sie an dir rühmen:

zerbrich das Haus, zerstör den Steg

und wälz ein Nest von Ungetümen

dem Flüchtling an den Nebenweg.

 

Denn so sind wir verkauft an kleine Nöte,

daß alle meinen Jahr für Jahr

wenn einer ihnen beide Hände böte

so wär ein Gott.  Du Notnacht voller Röte,

du Feuerschein, du Krieg, du Hunger: töte:

denn du bist unsere Gefahr.

 

Erst wenn wir wieder unseren Untergang

In dich verlegen, nicht nur die Bewahrung,

wird alles dein sein: Einsamkeit und Paarung,

die Niederlage und der Überschwang.

Damit entstehe, was du endlich stillst,

mußt du uns überfallen und zerfetzen:

denn nichts vermag so völlig zu verletzen

wie du uns brauchst, wenn du uns retten willst.

 

Rainer Maria Rilke, Die Gedichte, Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2006, Seite 420-421 

 

(aus den Gedichten 1906 bis 1910)

 

 

19. Wie lange noch 

 

Silke Hassler (Hrsg.), Peter Turrini Ein paar Schritte zurück. Gedichte, suhrkamp taschenbuch 3389, Frankfurt am Main 2002, Seite 11, ISBN 3-518-39889-X

 

 

21. Sag mir ein Wort

 

Sag mir ein Wort und ich stampfe dir

aus dem Zement eine Blume heraus,

denn ich bin mächtig geworden vor Schwäche

und vom sinnlosen Warten,

magneten in allen Sinnen.

Sicher wirst du erscheinen müssen!

Über dem Bahnhof zittert die Luft,

und die Taubenschwärme erwarten

den Einbruch der großen Freude.

Das Licht hat sich sanft auf die Schienen gelegt,

weg von den Haaren der Mädchen

und aus den Augen der Männer.

Ich habe aufgehört zu weinen,

aufgehört auch, auf das Wunder zu warten;

denn eines ereignet sich immerwährend

im Wachstum meiner Schwäche,

die da steigt und steigt hoch über die Tauben hinauf

und hinunter in schwarze Brunnen,

wo auch tagsüber noch sichtbar sind

die verheimlichten Sterne.

Dort unten wechselt nicht Tag und Nacht,

dort unten begehrst du noch ununterbrochen

die sanfte Blume meines Willens.

 

Christine Lavant, Die Bettlerschale. Gedichte, Otto Müller Verlag, Salzburg 1956, Seite 105

bzw.: Christine Lavant. Zu Lebzeiten veröffentlichte Gedichte, Wallstein Verlag, Göttingen 2014, Seite 177

 

 

23. Ich suche einen Menschen 

 

Wenn die Weisen im Land 

das Sagen haben,

weil nur sie die Fragen fragen

die uns morgen sagen

welche Fragen übermorgen

noch Fragen sind

und überübermorgen

Fragen bleiben,

dann hat bei solchen Fragen

wohl der das Sagen,

dem der Lauf der Sonne,

ihr Aufgang und ihr Untergang

weit wichtiger erscheint

als Ruhm und Ehre,

der auf der Suche bleibt 

nach Menschen,

deren Fragen

uns weit mehr sagen

und durch das Leben tragen

vielleicht ist überhaupt das Fragen 

in immer noch genaueren Fragen

die Kunst einander zu ertragen

durch Fragen, die uns sagen

was gründlich irritiert, 

berührt und 

bleibt …

 

arnold mettnitzer

 

 

25. Wenn ihr hört mein schweres Atmen

 

Peter Turrini, Ce la vie, Theaterstück, Uraufführung in der Josefstadt am 17. September 2014 In: Peter Turrini, C’est la vie. Ein Lebens-Lauf. Mit Bildern von Moritz Schell, Almathea Signum Verlag 2014, Seite 156 

 

 

27. Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens

 

Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Siehe, wie klein dort, 

siehe: die letzte Ortschaft der Worte, und höher, 

aber wie klein auch, noch ein letztes 

Gehöft von Gefühl. Erkennst du's? 

Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Steingrund 

unter den Händen. Hier blüht wohl

einiges auf; aus stummem Absturz 

blüht ein unwissendes Kraut singend hervor. 

Aber der Wissende? Ach, der zu wissen begann 

und schweigt nun, ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. 

Da geht wohl, heilen Bewußtseins, 

manches umher, manches gesicherte Bergtier, 

wechselt und weilt. Und der große geborgene Vogel 

kreist um der Gipfel reine Verweigerung. - Aber 

ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens....

 

Rainer Maria Rilke, Die Gedichte 1910 bis 1922, in:

Rainer Maria Rilke, Die Gedichte, Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2006, Seite

 

 

29. Wenn es nur einmal so ganz stille wäre

 

Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.

Wenn das Zufällige und Ungefähre

verstummte und das nachbarliche Lachen,

wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,

mich nicht so sehr verhinderte am Wachen - :

 

Dann könnte ich in einem tausendfachen

Gedanken bis an deinen Rand dich denken

und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),

um dich an alles Leben zu verschenken

wie einen Dank.

 

 

 

Rainer Maria Rilke, Die Gedichte, Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2006, Seite 203.

 

 

31. Kleine Strophen von der Unsterblichkeit

 

Dauer, Zeit und Raum

sind wie Brandungsschaum,

der verweht, indes die Flut sich wendet –

doch das kleinste Sein

schließt ein Wesen ein,

das von Anfang ist und niemals endet.

Der du dich besinnst,

ob du einst verrinnst

gleich dem Sand und gleich dem Regentropfen –

denk, dass Meer und Land,

Wasser, Fels und Sand

steter sind als deines Herzens Klopfen.

Nur was in dir brennt,

was kein Wort benennt,

dauert über der Vernichtung Flammen.

Wärst du nicht geweiht

zur Unsterblichkeit –

bräch die Schöpfung in sich selbst zusammen.

 

Text: Carl Zuckmayer

Vertonung: Christoph Pauli