KARFREITAG

Woran Tyrannen scheitern

In der westlich-abendländischen Kultur werden wir von Kindheit an geschult, das Leben als ständigen Wettkampf in einer feindlichen Umwelt zu erleben. Wie bei den römischen Gladiatorenkämpfen scheint nur der Sieg zu zählen. Ob Wettlauf, Weitsprung, Bizeps- oder Wadelschau, mit Muskelkraft ist man vorne mit dabei. Die Devise lautet: Sieg oder Niederlage, gewinnen oder verlieren. 

 

WORAN TYRANNEN SCHEITERN 

 

Mit der Kraft seiner Muskeln beeindruckte schon der biblische Samson. Aus Rache setzt er seine Kraft dazu ein, ein Haus zum Einsturz zu bringen und das Leben vieler, darunter auch sein eigenes auszulöschen. Das Ergebnis eines solchen Rundumschlags ist verbrannte Erde, blinde Wut, maßloser Zorn und rohe Gewalt. Christa Reinig hat ein Szenario in ihrem Gedicht „Die Prüfung des Lächlers“ beschrieben: 

 

als ihm die luft wegblieb, hat er gelächelt / da hat sein feind ihm kühlung zugefächelt / er lächelte, als er zu eis gefror / der feind rückt ihm die bank ans ofenrohr / 

 

er lächelte auch, als man ihn bespuckte / und als er brei aus kuhmist schluckte / er lächelte, als man ihn fester schnürte / und er am hals die klinge spürte / 

 

doch als man ihm nach einem wuchtigen tritt / die lippen rundum von den zähnen schnitt / sah man ihn an, erst ratlos, dann erstarrt / wie er im lächeln unentwegt verharrt. 

 

Einfache und lakonische Zeilen mit grellen Aufrissen, mit einprägsamen, suggestiven Reimen, erzählen von einem Menschen, der rätselhaft lächelt, von innen her strahlt und in diesem seinem Wesen unbesiegbar bleibt. Mit nichts, auch durch perfide Tortur nicht, konnte ihm sein Feind dieses Lächeln, diesen Glanz seines Herzens nehmen. 

 

Diese wehtuend konkrete und zeitlose Erzählung ist eine menschliche, politische und religiöse Metapher für alles, was Menschen in der Lage sind, anderen Menschen anzutun und beschreibt damit eines der vielen Schicksale, die sich tagtäglich irgendwo in der Welt ereignen. Die Pointe dieses Gedichtes aber ist die in sie hineinverwobene Karfreitagserfahrung: Es siegt nicht die rohe Gewalt, sondern ein Leuchten von innen her, ein Glanz, der den Feind sprachlos macht, den Tyrannen scheitern lässt und so, wie das weiche Wasser den harten Stein durchbohrt, das gesamte Umfeld zu verändern vermag … 

 

Eine dieser Karfreitagserfahrungen verdanken wir Óscar Arnulfo Romero. Am 24. März 1980 wurde der damalige Erzbischof von San Salvador ermordet. 

 

Bei seiner Ernennung zum Erzbischof im Jahre 1977 munkelte man, die Wahl wäre deshalb auf ihn gefallen, weil er als friedlicher und schwacher Kandidat dem Terrorregime wohl nicht die Stirn bieten und so dem Vatikan keine diplomatischen Schwierigkeiten machen würde. Sie sollten sich alle gründlich in ihm getäuscht haben. 

 

Die Politik in El Salvador war zur damaligen Zeit geprägt von der Unterdrückung der Arbeiter, Bauern und von Teilen des Klerus durch das Militär und die rechtsgerichteten Herrscherfamilien. Als Romero erkennen musste, dass seine ursprünglich sehr behutsamen Vermittlungsversuche zwischen der bettelarmen Bevölkerung des Landes und dem Terrorregime nicht nur nicht geduldet, sondern rücksichtslos bekämpft wurden, wuchs er zum leidenschaftlichen Anwalt der unterdrückten Menschen im Land. 

 

Sein radikal-unerschrockener Einsatz machte ihn bald zur herausragenden Stimme der lateinamerikanischen Befreiungstheologie. Dieses Engagement wurzelte in einer zutiefst liebevollen Zuwendung zu allen Menschen. In Solidarität mit todgeweihten Krebskranken lebte er einige Zeit im Krankenhaus. Aus reinem Mitgefühl appellierte er an die Menschen, sich um die Armen, die Opfer der Unterdrückung ebenso zu kümmern wie um die Kranken. Mehrfach wurde er nach Rom zitiert, um sich dort wegen seines Regierungsstils zu rechtfertigen. 

 

Am 21. März 1980 beschlossen drei Kardinäle im Vatikan, dem polnischen Papst seine Amtsenthebung vorzuschlagen. Drei Tage später wurde Óscar Romero in der Kirche der Karmelitinnen in San Salvador während des Gottesdienstes erschossen. Das hat ihn zu einem Märtyrer seines Volkes und schlagartig in der ganzen Welt bekannt gemacht. Einer seiner markanten Sätze lautet: „Die Kirche verrät das Evangelium, wenn sie aufhört, denen die Stimme zu geben, die keine Stimme haben.“ Die Kathedrale in San Salvador, wo Óscar Romero bestattet liegt, ist für das ganze Land und für Menschen aus allen Ländern der Welt zum Wallfahrtsort geworden. 

AM 

 

Dem Karfreitag gewidmet: Was ich glaube: „Wie ist das mit der Muskelkraft“ – Gladiatorenschule Carnuntum 2016

Nachlese

Kleine Zeitung
Asche aufs Haupt: Warum wir die Welt noch retten können
20240214 Aschermittwoch.pdf
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