Wie ist das mit dem Sommer?

SOMMER - SONNE - SINN & SEELE

 

Die Wälder schweigen

 

Die Jahreszeiten wandern durch die Wälder.

Man sieht es nicht. Man liest es nur im Blatt.

Die Jahreszeiten strolchen durch die Felder.

Man zählt die Tage. Und man zählt die Gelder.

Man sehnt sich fort aus dem Geschrei der Stadt.

Das Dächermeer schlägt ziegelrote Wellen.

Die Luft ist dick und wie aus grauem Tuch.

Man träumt von Äckern und von Pferdeställen.

Man träumt von grünen Teichen und Forellen.

Und möchte in die Stille zu Besuch.

Man flieht aus den Büros und den Fabriken.

Wohin, ist gleich! Die Erde ist ja rund!

Dort, wo die Gräser wie Bekannte nicken

und wo Spinnen seidne Strümpfe stricken,

wird man gesund.

Die Seele wird vom Pflastertreten krumm.

Mit Bäumen kann man wie mit Brüdern reden

und tauscht bei ihnen seine Seele um.

Die Wälder schweigen. Doch sie sind nicht stumm.

Und wer auch kommen mag, sie trösten jeden.

 

Erich Kästner, Werke. Band I, Zeitgenossen, haufenweise. Gedichte, Deutscher Taschenbuchverlag, München 2004, Seite 257