von Arnold Mettnitzer | 29.12.2024 | KLEINE ZEITUNG – Jahresrückblick
Was für ein wunderbarer Mensch
Wer der 97-jährigen Erika Freeman begegnet, empfindet sein eigenes Leben plötzlich heiter und leicht.
Mit zwölf Jahren musste sie Wien verlassen und auf der Flucht vor den Nazis allein nach New York reisen. Dort avancierte sie zur erfolgreichen Psychoanalytikerin. 2020 sprach Erika Freeman im Rahmen der Wiener Vorlesungen zum Thema „Wunder geschehen – man weiß nur nicht wann“. Beeindruckend ist, wie spielerisch leicht sie mit Humor und Zuversicht Sinnstiftendes zu vermitteln weiß.
Ein Lesevergnügen der besonderen Art ist ihr Interview mit Dirk Stermann: „Mir geht’s gut, wenn nicht heute, dann morgen“ (Hamburg 2023). Heuer wurde Freeman – mittlerweile wieder in Wien lebend – zur Ehrenbürgerin ihrer Heimatstadt ernannt. Der Wiener Bürgermeister begründete diese Ehrung mit den Worten: „Ihre persönliche Geschichte wirkte für sie wie eine Initialzündung dafür, sich mit jeder Faser ihres Körpers für eine bessere Welt einzusetzen, um den Hass und das Böse im Menschen zu heilen.“
In Interviews spricht die 97-Jährige gerne von zwei vorherrschenden Menschentypen: Die einen schauen dich von oben herab an und fragen herablassend: „Wer bist denn du (schon)!?“ Die anderen lächeln dich bestätigend an und vermitteln dir: „Was bist du nur für ein wunderbarer Mensch!“
Freeman erzählt oft von Eric Kandel, einem der führenden Experten der Gehirn- und Gedächtnisforschung. Er fand heraus, wie erlebte Freude im Gehirn chemische Substanzen freisetzt, die uns guttun und klüger machen, während Stress im wahrsten Sinne des Wortes „verblöden“ lässt. Dank Kandels Forschungen wissen wir auch, dass das Gute, das einer dem anderen tut, beiden Seiten guttut und gesund ist. Darüber hinaus profitieren auch diejenigen, die nur zusehen, wenn jemand etwas Gutes tut: Allein das Miterleben und „Dabeisein“ bewirkt Gutes und steigert die Intelligenz bei allen Beteiligten.