Guter Geist

von Arnold Mettnitzer | 23.05.2021 | KLEINE ZEITUNG 

 

„Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.“

 

Apg 2, 3-4

 

Geist, auch den in der Bibel beschriebenen „heiligen Geist“ gibt es nicht, es sei denn, Menschen kümmern sich um ihn und sorgen in der Familie, im Kindergarten, in der Schule, im Fußballverein, am Arbeitsplatz, im Krankenhaus, in der politischen und religiösen Gemeinde um ein Klima, in dem dieser Geist wachsen kann; wenn wir uns nämlich nicht darum kümmern, verkümmert er und macht dem Ungeist Platz, den wir momentan in den kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten oder auch in den verbalen Rundumschlägen einer innenpolitischen Klimakatastrophe erleben; Franz Eder, der Kulturstadtrat von Spittal an der Drau, hat in diesem Zusammenhang vor kurzem bei seinem Abschied aus der Politik eine Sprachunkultur beklagt, die mit starken Sprüche starker Männer die Lüge in der Gesellschaft salonfähig macht. 

Der in München forschende Sprachwissenschaftler Matthias Varga von Kibed unterscheidet in der Sprache drei Ebenen: die deskriptive, die beschreibt, was wir sehen, die rezeptive, die daraus Rezepte und Verhaltensregeln ableitet und schließlich eine kurative Ebene, die im Ton hinter den Worten und zwischen den Zeilen als „wohltuende Kur“ empfunden wird und selbst in harten Auseinandersetzungen einem Menschen den Respekt und die Wertschätzung nicht verweigert. Dazu allerdings müsste sich täglich ein kleines Pfingstwunder ereignen, das uns nicht nur die Welt in ihren vielen Sprachen und Unbegreiflichkeiten besser verstehen ließe, sondern uns auch dazu befähigen könnte, daran interessiert zu bleiben, was andere Menschen begeistert, was sie können und wofür sie brennen; dazu könnten wir uns das große Wort des Naturforschers Georg Christoph Lichtenberg (+1799) nicht deutlich genug gesagt sein lassen: „Wer nur die Chemie versteht, versteht auch die nicht recht!“ Schon in der Bibel hat ja das Pfingstwunder nicht damit zu tun, dass alle dieselbe Sprache sprechen, sondern dass offenbar jeder die Sprache des anderen zu verstehen beginnt!

 

Der bedeutende Satiriker Anton Kuh beschreibt schon in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Phänomen, das er böse pointiert den Typus des intelligenten Trottels nennt. Jemand kann auf seinem Fachgebiet eine Koryphäe sein und in vielen anderen wichtigen Bereichen des Lebens eine absolute Null. 

Eine mit Herz gesprochene Sprache bleibt neugierig und wagt sich weit über den eigenen Horizont hinaus; in ihr lebt ohne listige Hintergedanken ein „guter Geist“, mit dem wir auch auf das zu hören vermögen, was ein anderer nicht zu sagen wagt.

 

Nachlese

Kleine Zeitung
Asche aufs Haupt: Warum wir die Welt noch retten können
20240214 Aschermittwoch.pdf
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