Gedanken für den Tag

Beten

Gemeinsam zu beten ist mir seit früher Kindheit vertraut.
Samstagabends saßen wir um den Küchentisch.
Vor allem zu den großen Festtagen wie Weihnachten und Ostern.
Besonders lang und gründlich wurde zum Jahreswechsel gebetet.
Danke für das alte Jahr
und – wie die Mutter das immer ausgedrückt hat –
„Bitte um ein glückseliges Neues Jahr!“

 

In der Zwischenzeit hat sich der Inhalt meines Betens gewandelt.
In mein Reden mit Gott haben sich Fragen gemischt;
Eines meiner Lieblingsgebete legt Jean Anouilh Thomas Becket in den Mund:

 

Es hat lange gedauert, bis ich zu Dir gebetet habe. Aber ich kann nicht glauben, dass die Frömmeren, die Dir schon seit langem ihre Frage stellen, Deine wahren Absichten besser zu entziffern gelernt haben.
Ich bin noch ein Schüler, der erst anfängt. Wahrscheinlich mache ich viele falsche Auslegungen, wie in meinen ersten Lateinübersetzungen, bei denen sich der alte Priester über meine blühende Phantasie totlachen konnte.
Doch ich kann mir nicht vorstellen, dass man Deine Sprache wie eine menschliche Sprache erlernt, durch fleißiges Studieren, mit Lexikon, Grammatik und Satzlehre.
Ich bin sicher,
dem verstockten Sünder, der zum ersten Mal auf die Knie sinkt
und staunend Deinen Namen stammelt, dem offenbarst Du alles,
sofort,
und er begreift.
(Jean Anouilh, Becket oder die Ehre Gottes, dtv 126, 102)


Arnold Mettnitzer

In Karnburg bei Maria Saal befindet sich die älteste Kirche Kärntens. Darin eine Tür aus karolingischer Zeit. Über der Tür eine in Stein gehauene segnende Hand. Die Hand Gottes über unseren Ausgängen und Eingängen, sein Segen über unserem Weggehen und Heimkommen…

Ich mag diese Hand. Sie erinnert mich an meine Kindheit und Jugend:
Wenn ich von daheim fortging, zeichnete mir die Mutter mit ihrer Hand ein Kreuz auf die Stirn. In dieser lautlosen Geste war alles Wünschen zusammengefasst.

In einem über zweitausend Jahre alten Geleitwort aus dem Buch Deuteronomium (28, 3ff übersetzt von Martin Buber) heisst es:

Gesegnet Du in der Stadt
Gesegnet Du auf dem Feld
Gesegnet
Die Frucht Deines Leibes
Die Frucht Deines Bodens
Die Frucht Deines Viehs
Der Wurf Deiner Rinder, die Brüste Deiner Schafe
Gesegnet Deine Mulde und Dein Backtrog
Gesegnet Du bei Deiner Ankunft
Gesegnet Du bei Deiner Ausfahrt


Arnold Mettnitzer

Eines meiner schönsten Segensgebete
stammt aus dem 5. Jahrhundert:

 

Der Herr sei vor Dir,
um Dir den rechten Weg zu zeigen.
Der Herr sei neben Dir,
um Dich in die Arme zu schließen
und Dich zu schützen.

Der Herr sei hinter Dir,
um Dich zu bewahren
vor der Heimtücke böser Menschen.
Der Herr sei unter Dir,
um Dich aufzufangen, wenn Du fällst,
und Dich aus der Schlinge zu ziehen.

Der Herr sei in Dir,
um Dich zu trösten,
wenn Du traurig bist.
Der Herr sei um Dich herum,
um Dich zu verteidigen,
wenn andere über Dich herfallen.

Der Herr sei über Dir,
um Dich zu segnen.
So segne Dich der gütige Gott.

 

Segen von Sedulius Caelius, einem lateinischen Dichter,
der im 5. Jahrhundert in Achaia lebte und wirkte.

 


Arnold Mettnitzer

Gemeinsam zu beten ist mir seit früher Kindheit vertraut.
Das Gebet, das der Priester, Schriftsteller und Politiker Ernesto Cardenal nach ihrem Tod für Marylin Monroes verfasste, beeindruckt mich immer noch tief:

 

Herr
nimm auf dieses Mädchen, bekannt in der ganzen Welt als
Marilyn Monroe,
wenn das auch nicht ihr wirklicher Name war
(doch du kennst ihren wirklichen Namen, den Namen des
kleinen Waisenkindes, das mit 9 Jahren vergewaltigt wurde, 
der Verkäuferin, die mit 16 Selbstmord versuchte)
und die nun vor Dir steht, ohne Schminke,
ohne ihren Presseagenten,
ohne Photograph und ohne Autogramme zu geben,
allein wie ein Astronaut vor der Nacht des Weltraums ....

 

Sie war hungrig nach Liebe, und wir boten ihr Beruhigungsmittel.
Weil sie traurig war, keine Heilige zu sein,
empfahl man ihr Psychoanalyse.
Denke, Herr, an ihre wachsende Angst vor der Kamera
und an den Haß auf die Schminke - sie bestand vor jeder Szene auf
neuem Make-up --,
und wie das Entsetzen zunahm und die Unpüktlichkeit in den Studios.

Wie jede Verkäuferin träumte sie davon, ein Filmstar zu werden.
Und ihr Leben war unwirklich wie ein Traum, interpretiert und 
archiviert von einem Psychiater ....

 

Der Film ging zu Ende ohne den Kuß im Finale.
Man fand sie tot in ihrem Bett, ihre Hand am Telefon.
Und die Detektive fanden nicht heraus, wen sie anrufen wollte.
Es war, als habe jemand die Nummer der einzigen freundlichen
Stimme gewählt
und nur die Stimme vom Band gehört, die sagt:
WRONG NUMBER
Oder als habe jemand, von Gangstern überfallen, 
die Hand nach unterbrochenem Telefon ausgestreckt.

 

Herr,
wer immer es auch war, den sie anrufen wollte
und den sie nicht erreichte (und vielleicht war es niemand
oder jemand, dessen Nummer nicht im Telefonbuch von Los Angeles steht)
ANTWORTE DU IHREM ANRUF!

 

Arnold Mettnitzer

Eines meiner Lieblingsgebete verdanke ich der Schriftstellerin Ilse Leonhartsberger:

 

Führe mich die anderen Wege,
nicht die, die glatt
und voll Berechnung folgen dem,
was nur der Kopf diktiert;
auf jene leite mich,
die abseits der geraden Straße
führen durch das enge, dornig-
schmerzhafte Gestrüpp des Herzens.

 

Führe mich die anderen Wege,
die steinigen mit der Gefahr
des Stolperns in die Sünde,
damit ich aufstehen lerne
und so erfahre deine Liebe
durch die Kraft der Gnade.

 

Führe mich die anderen Wege,
auf denen sich mein Herz
verwundet und ich begegne
denen mit verletztem Herzen,
die irrend, suchend, tastend
gehen ihre Wege, ihren Pfad,
damit ich es erfahre, was es heißt,
ein Mensch in deiner Welt zu sein.

 

Führe mich die anderen Wege,
die mit den Löchern,
in die zu stürzen,
Verlassenheit bedeutet,
um so verlassen du mich lehrst,
mich zu verlassen
nur auf dich.

 

Führe mich die anderen Wege,
nicht die, die scheinbar weg
von der Versuchung führen,
doch jene führe mich,
die mich erschrecken lassen
über das, wozu ich fähig bin.

 

Führe mich die anderen Wege,
nicht jene, die zufriedenstellen
nach dem Maße menschlicher Gerechtigkeit,
doch jene führe mich,
die meine Sinne öffnen dafür,
was gerecht vor dir.

 

Führe mich die anderen Wege,
auf denen ich nicht sehe deine Hand
und mir nichts bleibt
als mein Vertrauen.

 

Führe mich die anderen Wege,
diese führe mich, die mir
das Herz verletzen durch die Dornen,
um es zu öffnen für die Rosen
deiner Liebe.

 

 

Arnold Mettnitzer

Nachlese

Kleine Zeitung
Asche aufs Haupt: Warum wir die Welt noch retten können
20240214 Aschermittwoch.pdf
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