Gedanken für den Tag

Farben der Seele

Blau. Meine Lieblingsfarbe. Sie bewirkt von allen Farbempfindungen die tiefste Beruhigung. Experimente beweisen, dass bei längerem Betrachten von Dunkelblau die Atmung langsamer wird, der Puls abnimmt und der Blutdruck sinkt.


Wassily Kandinsky hat das Blau als „konzentrische Bewegung“ beschrieben und gemeint, dass diese Farbe vom Mitmenschen weg ins eigene Zentrum führt: „Je tiefer, desto mehr ruft es den Menschen ins Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich nach Übersinnlichem“.


Der Himmel und das Meer, die tiefsten unserer Betrachtung zugänglichen Räume, erscheinen uns blau. Die Weiten des Himmels und der Meere machen Blau auch zur Farbe des Fernwehs:


So wird „blau“ oft gebraucht, um etwas Fernes, Unbestimmtes zu bezeichnen:
„Ins Blaue“ hineinreden, sagen wir, und meinen: „ohne jeden Plan und Zweck“;
In unserer Sprache kennen wir „eine Fahrt ins Blaue“ und vor allem den Wunsch, am Montag „blau“ zu machen und den Sonntag um ein paar Stunden zu verlängern ... Faschingsmontag - „blauer Montag“?


Andererseits verwenden wir die blaue Farbe aber auch, um Ausreden und Lügenmärchen zu umschreiben: Schon im 16. Jahrhundert ist von „blauen Argumenten“ die Rede: Heute sagen wir dazu, dass einer „das Blaue vom Himmel herunter lügt“ oder aber, dass einer den anderen anlügt, „dass er blau wird“.


Ich wünsche Ihnen für die kommenden Tage,
dass sie ein wenig Zeit finden, „blau“ zu machen,
dass ihnen der Briefträger keinen „blauen“ Brief bringt
und dass sie nicht „vom blauen Affen gebissen“ werden,
mit einem Wort:
Ich wünsche ihnen
ein wenig Himmelblau im Alltagsgrau!


Arnold Mettnitzer

Von allen Farbempfindungen erzeugt die Farbe „Rot“ die stärkste erregende Wirkung. Experimente beweisen, dass bei längerem Betrachten von Rot
die Atmung rascher wird, der Puls sich erhöht und der Blutdruck steigt.


Rot signalisiert Leben, Kraft und Leidenschaft, Aktivität und Erregung.


Rot, vor allem das „Rotwerden“ wird in unserer Umgangssprache mit zahlreichen sprichwörtlichen Vergleichen erläutert: 
„Bis hinter die Ohren“ erröten wir und werden rot „wie ein gesottener Krebs“,
oder wirken gelegentlich aufeinander „wie ein rotes Tuch“ .


Die Feiertage im Kalender streichen wir „rot“ an, und wenn jemand sehr zornig wird, dann sagen wir, er oder sie sehe „nur noch rot“ …


Und auch die rote Glut des Feuers hat ihre Sprache:

In der Bibel wird über das Pfingstereignis erzählt,
dass „Zungen wie vom Feuer“ auf die Apostel herabgekommen wären:
„auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder.“ (Apg 2,3)


Wir kennen den Phönix, den Vogel, der sich aus der Asche erhebt, wieder lebt, erneuert, stärker als zuvor. Das Feuerrot der Flammen hat ihn verwandelt.


Ein leidenschaftliches Wort des Jesus aus Nazareth lautet:
„Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen.
Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!“ (Lk 12,49).


Nicht die Asche hüten, sondern Funken sprühen, Glut entfachen und darauf achten, dass sie nicht erlischt, …


Vorsichtige Menschen aber sind auf der Hut und kümmern sich eher darum, dass nur ja kein Flächenbrand entsteht und nichts Unerwartetes geschieht ...
Aber, so fragte schon vor Jahrzehnten Alexander Solschenizyn:
„Wenn man immer nur vorsichtig ist, ist man dann überhaupt noch Mensch?“


Arnold Mettnitzer

Aschermittwoch. Fastenzeit. Die dazu passende Farbe ist „violett“:
Eine Mischung aus blau und rot; Vermittlung von Ruhe und Bewegung, Aktivität und Kontemplation, so, als sollten wir zwischen beidem das rechte Maß finden. Dabei geht es nicht um Mäßigung als Selbstbestrafung, sondern schlicht und einfach um das rechte Maß.


„Für alles ist eine Zeit“, - sagt Kohelet:
„eine Frist fürs Weinen und eine Frist fürs Lachen
eine Frist fürs Klagen und eine Frist fürs Tanzen“ (Koh 3,1-4 M. Buber).


„Ne quid nimis“ – wie die Alten sagten. „Von nichts allzu viel!“
Das rechte Maß finden und nicht mit einem Maß messen, das uns nicht zusteht. Wissen, wann´s genug ist, wo der Genuss zum Selbstzweck wird und nicht mehr wirklich ausgekostet werden kann.
Das ist zunehmend schwieriger in einer Welt der tausend Möglichkeiten, wo im Winter die Karibik lockt und im Sommer der Erlebnisgletscher.


Violett, die Farbe des rechten Maßes und der Mäßigung.
Zwischen Freude und Schmerz, zwischen Leidenschaft und Beherrschung
liegt das Geheimnis dessen, was die Bibel „Leben in Fülle“ nennt.


Der violette Edelstein heißt Amethyst. Das bedeutet wörtlich übersetzt: „Stein der Nichttrunkenheit. Stein der Nüchternheit“. In der Antike wurde er als Mittel gegen Gift und Trunkenheit getragen.


In der geheimen Offenbarung des Johannes ist der Amethyst einer der Grundsteine des Himmlischen Jerusalem; er vermittelt in seiner gebrochenen Farbe zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und dem Menschen, er steht gegen Machtrausch und Größenwahn und dafür, dass der Mensch sich nicht mit Gott verwechselt:


Mensch, denk daran:
Du bist Staub
und zum Staub
kehrst Du zurück.


Arnold Mettnitzer

„Nach grüner Farb mein Herz verlangt
nach dieser schweren Zeit“ –

so singt ein Winterlied in Sehnsucht nach der Wiederkehr der Vegetation, nach Wärme und Leben und mit all dem nach dem Frühling des Gefühls...


In der christlichen Kunst ist Grün die Farbe des Paradieses und die Farbe des Kreuzes: Marc Chagall hat im Frauenmünster in Zürich inmitten eines grünen Lebensbaumes einen grün-goldenen Christus dargestellt. Das grüne Christusfenster bildet den Mittelpunkt unter den vier übrigen Fenstern, die jeweils auch auf einen farblichen Grundton – Rot, Gelb und Blau – gestimmt sind.


Grün, die Mitte des Farbsystems, in der jüdischen Mystik die Farbe der Versöhnung und Barmherzigkeit, bildet das Zentrum der Fenster. Und der Christus in der Mitte steht in seinem grüngoldenen Farbgewand als der Inbegriff seiner Botschaft:
„Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben!“ (Joh 10,10).


Bei Hildegard von Bingen steht die Farbe Grün für den Schöpfer überhaupt:
„o edelstes Grün, das wurzelt in der Sonne und leuchtet in klarer Heiterkeit“, so betet sie: „du Grün bist umschlossen von Liebe, umarmt von der Herzkraft himmlischer Geheimnisse“.


Hildegard, eine der ersten schreibenden Ärztinnen des Mittelalters, entwickelte ihre gesamte Heilkunde rund um die Viriditas, die Grünkraft, die aus Gottes Schöpferkraft und der Erneuerung des Heiligen Geistes kommt. In ihr werden Heilung und Heil eins:


„Die Seele ist wie ein Wind“, der über die Kräuter weht“, sagt sie,
„wie ein Tau, der auf die Gräser träufelt...
Genauso ströme der Mensch ein Wohlwollen aus auf alle,
die da Sehnsucht tragen: 
Ein Wind sei er, der dem Elenden hilft,
ein Tau, der Verlassene tröstet.“


Arnold Mettnitzer

Die Farbe GELB wirkt exzentrisch, ist eindringlich und dynamisch,
sie ist die hellste aller Farben.


Gelb ist richtungweisend und zugleich verletzlich:
die kleinste Verschmutzung oder Eintrübung lässt die Farbe
hässlich und giftig erscheinen. 
Ebenso scheint es mit der Wahrheit zu sein:
Auch nur wenig getrübte Wahrheit ist krank,
vergiftet und verseucht oft nur durch ein kleines Wort.


Ingeborg Bachmann klagt: 
„Für eine Pointe wird eine Wahrheit geopfert,
und gut gesagt ist halb gelogen.“


Der Symbolik des klaren Gelb liegt wohl immer die Erfahrung des ungetrübten Sonnenlichts zugrunde, das Erlebnis, wie es sich bei jedem Sonnenaufgang ereignet und mit dem zugleich alle Farben wiedergeboren werden aus der Verschattung der Nacht.


Wer kennt nicht den begeisterten Lobpreis des Franz von Assisi an die Schwester Sonne, jenes Mannes aus Umbrien, dessen Geburt Dante Alighieri als das Aufgehen der Sonne in dieser Welt gepriesen hat.
Die schönsten Texte der Weltliteratur sind der Klarheit des aufgehenden Sonnenlichts gewidmet, so wie der folgende Text aus dem Werk von Ingeborg Bachmann:


„Schöner als der beachtliche Mond und sein geadeltes Licht,
Schöner als die Sterne, die berühmten Orden der Nacht,
Viel schöner als der feurige Auftritt eines Kometen
Und zu weit Schönrem berufen als jedes andre Gestirn,
Weil dein und mein Leben jeden Tag an ihr hängt, ist die Sonne...

Schönes Licht, das uns warm hält, bewahrt und wunderbar sorgt,
Dass ich wieder sehe und dass ich dich wiederseh!

Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein...“


Arnold Mettnitzer

Die Summe aller Farben des Regenbogens ist „weiß“.
Wir verbinden damit „hell“, „rein“, „klar“, „unschuldig“ „ohne Hintergedanken“...
Wir reden vom „Sich weiß waschen“ oder von der „weißen Weste“, um unsere Unschuld zu beteuern und sie „schwarz auf weiß“ zu belegen.
Wir hissen die „weiße Fahne“, um den erfolgreichen Abschluss aller Maturanten sichtbar zu machen, oder aber, um bei Verhandlungen friedliche Absichten zu signalisieren...


„schneeweiße Haare“ bedeuten nicht nur, dass einer in die Jahre gekommen ist,
sie stehen für Weisheit, Erfahrung und Respekt...


„Weiß“, das kann aber auch „ nicht bunt“ bedeuten, nicht Summe aller Farben, sondern: farblos, leblos, leichenblass; unerforschtes Gebiet als „weißer Fleck“ auf einer Landkarte, frischer Schnee überm Land, unbeschriebenes Blatt, tabula rasa....


In der Offenbarung des Johannes sieht der Seher von Patmos die 24 Ältesten in gleißendem Licht, in strahlend weißen Gewändern, so weiß, wie sie kein Wollfärber machen kann.


Dem Christen wird bei seiner Taufe ein solches weißes Kleid überreicht,
als Wunsch, dass das Leben gelinge, dass das Klare und Helle
das Dunkle überwiege – im Sinne eines uralten Gebetes:


Gott umhülle dich mit seinem Licht,
er sei vor dir, um dir den rechten Weg zu zeigen,
er sei unter dir als fester Boden unter deinen Füßen,
er sei hinter dir, um dich aufzufangen, wenn du straucheln solltest,
er sei um dich herum, um dich zu verteidigen,
wenn andere über dich herfallen,
er sei in dir, um dich zu trösten,
wenn du traurig bist,
er bleibe über dir,
um dich zu segnen.


Arnold Mettnitzer

Nachlese

Kleine Zeitung
Asche aufs Haupt: Warum wir die Welt noch retten können
20240214 Aschermittwoch.pdf
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