ALTAR – HAUSALTAR – HERGOTTSWINKEL – KLAGEMAUER
In vielen Häusern finden wir auch heute noch den "Herrgottswinkel". In meiner Kärntner Heimat lassen mich diese Herrgottswinkel an aufgeschlagene Bücher denken, in die die schmerzlichen Verluste
der Familie durch Parte-anzeigen eingetragen sind.
Die Römer pflegten in ihren Häusern den Gottheiten einen Altar zu errichten und ihnen dort zu opfern.
Der Altar markiert seit den Anfängen der Menschheit den Ort des Opferns, des Bittens und Betens, des Rufens und Klagens in aller Not. "Altar" versteht sich daher als Synonym für die sichtbar
gemachte Sehnsucht des Menschen nach Schutz und Hilfe und umschreibt damit alle Bereiche, die der spirituellen Dimension des Menschen zuzurechnen sind.
„Zuerst heile mit dem Wort, dann durch die Arznei und zuletzt mit dem Messer“, so lautet das Ethos des Kult- und Heilgottes Asplepios als Leitmotiv antiker Heilkunst:
Das erste Heilmittel gegen die Not des Leibes und der Seele ist das menschliche Wort und ein dafür ausgesparter Ort: Ob als Altar in römischen Häusern oder in unseren Kirchen, ob als Gebetsecke
oder Herrgottswinkel in unseren Wohnungen oder als Klagemauer in Jerusalem!
Ein Gedicht von Reiner Kunze trägt den Titel:
ZETTEL IN DEN FUGEN DER
KLAGEMAUER VON JERUSALEM
Vielleicht, damit gott nicht vergißt
Damit er die angst
schwarz auf weiß hat
Breitenfeld
(Reiner Kunze, eines jeden einziges leben. gedichte, S. Fischer, Frankfurt 1986, 82)