Kult und Religion

Die Sehnsucht des Menschen nach dem Anderen

Der Leiter des Museums für Quellenkultur hat uns zur Eröffnung des Norischen Kultplatzes eingeladen. Der Quellensucher und Einbuchstabenschreiber markiert damit vielleicht einen Ort, um den Ort hinter allen Orten anzudeuten, er führt damit wie ein Rutengänger zur Quelle, jedenfalls zum Q.

Der katholische Priester und Zen-Meister Karl Obermayer hat 2004 ein Büchlein geschrieben mit dem Titel: „Zurück zur reinen Quelle“. Er beginnt mit einem Vers, der auch als Kurzkommentar zu Hofmeisters Quellenkultur stehen kann:

 

ZUR QUELLE ZURÜCKGEKEHRT.
ABER DIE SCHRITTE WAREN UMSONST.
BESSER WÄRE MAN
BLIND UND TAUB GEWESEN
VON ANFANG AN.

 

Obermayer stellt im Vorwort die Frage, ob es am Anfang unseres Daseins einen Zustand der Einheit mit dem ganzen Universum gibt, mit „Gott und der Welt“ sozusagen.
„ Es ist auffällig, dass in vielen Kulturen der Mythos vom goldenen Zeitalter, vom verlorenen Paradies zu finden ist. Vielleicht ist die tiefste Sehnsucht des Menschen, die er immer wieder mit vordergründigen Dingen zu befriedigen sucht, letztlich die Sehnsucht nach dieser Einheit, diesem Einswerden“, vermutet der Autor (Karl Obermayer, Zurück zur reinen Quelle. Zen-Einsichten und Kalligraphien, Theseus-Verlag Berlin 2004).
Aus meiner Sicht ist es die vornehmste Aufgabe der Religion, zur Quelle zurückzuführen, der Sehnsucht danach eine Stimme oder besser noch einen Platz einzuräumen. Wie diese Quelle zu beschreiben ist, darüber gehen die Meinungen auseinander: Q, Dao, Buddhanatur, Gott… Es gibt dafür viele Namen. Die Geschichte der Menschheit ist auch die Geschichte des Streitens darüber, wer hier Recht hat. 
Aber ganz egal, in welche Religion wir schauen: Menschen, die sich dieser letzten Wirklichkeit genähert haben, die sich spirituelle Erfahrung angeeignet haben, berichten von ganz Ähnlichem: Das eigentliche Erlebnis, die persönlich gemachte religiöse Erfahrung ist einmalig, und jede Beschreibung greift im Grunde zu kurz. Darum sind die großen Meister des Glaubens im Herzen sehr weite, gelassene und liebende Menschen. 
Der chinesische Meister Yung-Chia Ta-Shih sagt: „Es ist nicht zu greifen, aber auch nicht zu verlieren. Es sucht sich seinen eigenen Weg. Wenn du schweigst, spricht es, wenn du sprichst, ist es taub. Kein Hindernis – das große Tor der Liebe ist weit geöffnet.“ (Obermayer, 35)
Bodhidharma antwortet auf die Frage, was das Wesentliche seiner Lehre sei: Keine Lehre „Offene Weite. Nichts Heiliges.“ (Obermayer, 36)
Diese Offenheit und diese Weite zu finden, in sich selber und dem ganzen Kosmos, ohne vorgefasste Gedanken, Meinungen und Vorstellungen, darum geht es z. B. im Zen.

 

Religion kommt immer dann in die Krise, wenn sie diese offene Weite verliert. Dann muss die Welt eingeteilt und dabei im Grunde „auseinanderdividiert“ werden in „Himmel und Hölle“, oben-unten“, sacrum-profanum, usw.
Dann wird mit einem Male die reine Lehre, der Glaubenssatz und das Gesetz wichtiger als die Menschen und ihre Erfahrungen….
Schon vor 500 Jahren spottet Paracelsus über seine Zeitgenossen, die abwechselnd nach Antwerpen, Venedig, Frankfurt und Brüssel ‚rennen‘, weil sie jeweils davon überzeugt sind, dort liege das Heil der Welt. Es ist nach Paracelsus nicht nötig, von Schwaben nach ‚Allakutn‘, wie er es nennt – das heutige Kalkutta -, zu wandern, es ist nicht nötig, den Wein von Candia zu trinken; er sagt, wir brauchen keine Sehnsucht nach den fremden und fernen Gegenden zu haben, wie es im 16. Jahrhundert Mode wurde. Das Märchen von Kalkutta und der Wein von Candia schenken uns nicht mehr Freuden, als wir sie in unserem vertrauten Umkreis zu entdecken vermögen. Wenn das Herz im Menschen erwacht, regiert in ihm die Liebe. Er erkennt dann, dass Gott auch seine Wohnung, seinen Lebensraum voller Freude erschuf.

 

ACHTSAMKEIT
Grundtugenden
DANKEN BITTEN STAUNEN

 

Das Talmuseum in Klein St. Paul ist in den letzten Jahren Schauplatz einer Werner-Hofmeister-Personale geworden. Aber Hofmeister gestaltet seine Personale so, dass er dadurch dem Besucher die eigentliche Bedeutung des Museums in neuer Weise bewusst macht. Er tritt mit seinen Objekten in Dialog mit der Vergangenheit dieser Region, deren Geschichte weit zurückreicht in die römische und in die keltische Zeit. Die Objekt-Zeitzeugen aus der Vergangenheit dieser Region werden durch die Zwiesprache mit der Konzeptkunst zu kreativen Dialogpartnern und lassen etwas von der Kraft ihrer Zeit erahnen: Sie sind Boten zweier Zeiten und ihrer Kultur.
Wenn Hofmeister den Platz, auf dem dieses Museum steht, zum Norischen Kultplatz erhebt, dann vollzieht er damit eine geradezu hohepriesterliche Handlung und einen beinahe sakralen Weiheakt: Angesichts des nahen Kirchturms mag diese Aktion als religiöse Provokation erscheinen. Aber gerade deshalb ist sie auch schon wieder sinnvoll, weil es auch Aufgabe der Kunst sein kann, religiöse Fragestellungen über den Horizont institutionalisierter Religion hinaus- und zu ihren Ursprüngen zurückzuführen.
Der Norische Kultwagen wird von zwei Stieren gezogen, vom einen in Richtung des Sonnenaufgangs, vom anderen in Richtung des Sonnenuntergangs. Der Wagen selbst gehalten von vier Händen, deren Querung nicht Stillstand, sondern archaische Geborgenheit andeutet. In die Quelle-Hände sind Stigmata eingeschnitten, so als wären in ihnen eingeschrieben die Wundmale aller Zeiten. 
Der Kultwagen erscheint mir als der Versuch eines Trialogs zwischen Kelten, Römern und den Heutigen im Jetzt. Der Versuch einer Standortbestimmung, der Versuch, die Quelle zu finden. 
Im Fadenkreuz der Aufmerksamkeit steht der Ort, wo die Welt das Geheimnis ihrer Drehbarkeit hat, „wo sie noch keusch ist, wo sie noch nicht geliebt und geschändet worden ist, wo die Heiligen sich noch nicht für sie verwandt und die Verbrecher keinen Blutfleck gelassen haben“.
Hofmeisters norischer Kultwagen ist eine Einladung, im Nutzlosen und Zwecklosen das Sinnvolle zu suchen. Nicht Stillstand, sondern „Innewerden“ ist sein Thema. Eine Einladung, in der Welt, in der wir leben, die Ruhe wieder zu finden, der wir in unserer Geschäftigkeit davonlaufen, so, als fühlten wir uns durch sie bedroht. Eine Einladung, im Hier und Jetzt präsent zu sein.
Werner Hofmeister bittet zu unverzwecktem Spiel…
Alles Religiöse ist vom Ursprung her Spiel, heiliges Spiel,
in dem sich der Ernst des Lebens erst ertragen lässt.
Die Suche nach diesem „Ort“ beschäftigt Kunst und Religion; während Kunst ungeniert auf die Suche geht, gibt institutionelle Religion oft zu schnell vor, schon gefunden und damit „die Wahrheit gepachtet“ zu haben.

 

Darum noch einmal:
Keine Lehre.
Offene Weite.
Nichts Heiliges.

 

Oder, um es mit einem
im Talmuseum gefundenen Wort Friedrich Nietzsche’s zu sagen:

 

„ Wo du stehst, grab tief hinein!
Drunten ist die Quelle!
Laß die dunklen Männer schrein:
‚ Stets ist drunten Hölle!’“

 

Arnold Mettnitzer

Eröffnung des Norischen Kultplatzes
In Klein St. Paul, am 21. Mai 2005

Rückblick

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Kleine Zeitung | 14.04.2024
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