Pfingstwunder

„Als der Tag des Pfingstfestes vollends gekommen, waren alle gemeinsam am Ort. Und es geschah: Plötzlich kam aus dem Himmel ein Brausen – wie von einherfahrendem gewaltigem Schnaufen. Und es füllte das ganze Haus, darin sie saßen. Und sichtbar wurden ihnen – sich verteilend – Zungen wie von Feuer. Und sie setzten sich auf jeden von ihnen. Und voll heiligen Geistes wurden alle. Und ihre Zungen begannen anders zu reden – wie der Geist es ihnen kund gab. In Jerusalem aber wohnten Juden, ehrfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als laut ward dieses Rauschen, lief die Menge zusammen und ward verwirrt, da ein jeder sie reden hörte in seiner eigenen Sprache. Sie waren außer sich und sagten staunend: Nein – da! Die hier reden – das sind allsamt Galiläer! Und wieso hören wir jeder unsere Sprache, in der wir geboren sind? … Sie waren alle außer sich und wussten nicht ein noch aus – sagte einer zum andern: Was mag das sein? Andere aber machten sich lustig und sagten: Von Süßwein sind sie vollgelaufen!“
Als Gegenbild zum Turmbau von Babel und die daraus entstandene Sprachenverwirrung erzählt die Bibel in ihrem Zweiten Testament die ewig junge Pfingst-Geschichte: Aus allen Himmelsrichtungen sind Menschen zusammengekommen; sie finden füreinander eine Sprache und erleben sich als große „Symphonie der Feuerzungen“ in einem so noch nie erlebten Miteinander: „Voll heiligen Geistes“ verstehen sie einander. Darüber geraten sie selbst außer sich. Sie können es nicht fassen, wie leicht es sein kann, einander zu verstehn ... In meinem Buch „Couch & Altar“ hatte sich ein Kapitel ergeben, in dem die Sehnsucht nach dem Wort und seiner heilenden Kraft im Mittelpunkt des Interesses stand. Im Rückblick ist es der verletzlichste, aber der mir kostbarste Teil des Buches geworden. Wenn ich mich diesem Thema nun in einer weiteren Arbeit widme, dann nicht ohne eine gewisse Naivität und Arglosigkeit, sonst wäre mir das Thema auch als Stückwerk, das es bleiben muss, nicht leistbar erschienen. Dieses Buch will dazu einladen, den täglichen Umgang mit dem Wort als unverwechselbaren Liebesdienst im beruflichen und privaten Alltag zu vollziehen und dabei die Sprache als Instrument der Anteilnahme, des Trostes und der Ermutigung zu verstehen, die Stimme als Medizin, den Klang hinter den Worten und zwischen den Zeilen als Ausdruck dessen, was die Seele berührt. Nur wenn hinter den Worten „Feuer“ brennt, wenn in dem, was wir einander anvertrauen die Seele mitschwingt und durchklingt, können Worte zur Kur werden, ermutigen, trösten und heilen. „Worte sind schön, aber Hühner legen Eier“, sagt ein afrikanisches Sprichwort. Im partnerschaftlichen und familiären Alltag, am Arbeitsplatz, in der therapeutischen oder medizinischen Praxis, im religiös-liturgischen Raum, überall wo Menschen miteinander kommunizieren, entwickeln sie ein feines Gespür dafür, ob den Worten auch Taten folgen, ob das Gesagte auch das Gemeinte ist, ob wir auch halten können, was wir gesprochen haben. Wie immer unsere Gespräche glücken und wie sie auch verlaufen, das erste Instrument dabei bleibt die Stimme, durch die unsere Worte ihren unverwechselbaren Klang erhalten. Dieser Klang ist immer original, er wird unter Vertrauten zum Generalschlüssel, der Türen und Herzen öffnen kann. Die menschliche Stimme ist der Ton in der „Musik“, mit der sich die Seele zum Klingen bringt, sie transportiert das „Feuer“ im täglich kleinen Pfingstwunder, das darüber entscheidet, wie tief uns Worte berühren und Gedanken bewegen.

 

aus: Arnold Mettnitzer, Klang der Seele“ Seite 9-10, 2009 by Styria Verlag

Nachlese

Kleine Zeitung
Asche aufs Haupt: Warum wir die Welt noch retten können
20240214 Aschermittwoch.pdf
Adobe Acrobat Dokument 348.6 KB

Vorschau